tanzwuchs#7 Nov 2023

by: Thaddäus Maria Jungmann

Produktion von Stärke

Hoffnung haben ist die eine Sache, sie auch zu halten die andere. Gerade noch irgendwo im Körper spürbar, scheinbar fest im Griff, plötzlich entglitten. Physisch ist sie nicht greifbar. Doch an was dann festhalten? Gerade in Krisenzeiten gelten Lebensmittel als Garant*innen der Hoffnung. Auch Farah Schirmer und Maureen Zollinger erkoren in „Hoffnung halten“ die Kartoffel als Hoffnungsträger*in aus. Unermüdlich versuchen sie immer wieder das Konstrukt von Hoffnung in verschiedenen Akten des Haltens sichtbar zu machen und prüfen jedes Mal mit einem verunsicherten Blick ins Publikum: So vielleicht?

Keine flüchtige Umarmung: Die Fingerkuppen schmiegen sich an den Rücken und verhaken sich zur Sicherheit mit Druck. Verharrt stehen sie fest umschlungen da. Plötzlich plumpst eine Kartoffel zu Boden. Ziemlich plump. Die Situation erinnert an Spiele im Kindergarten, die zu nichts führen außer Verletzungen. Deswegen auch Gelächter aus dem Publikum. Weitere Kartoffeln fallen aus dem symbiotischen Organismus, rollen verteilt über den Boden. Die Halterung wird nicht gelöst, denn das hier ist purer Ernst. Die Sportkleidung lässt die Anstrengung nur erahnen. Aus einem Festhalten wird ein Festklammern.

Komisch ist es schon, zwei Menschen beim Versuch sich an etwas festzuklammern zu beobachten. Kennt man den Zustand doch selbst zu gut und kommt die Erkenntnis des Loslassens doch meist zu spät. Manchmal kann man es eben nicht halten. Auch in diesem Fall: Alle Kartoffeln sind gefallen und somit gibt es auch nichts mehr zu halten. Doch was nun? Das hoffnungsstiftende Gut, im ganzen Bühnenraum verteilt, muss wieder eingesammelt werden, um neue Hoffnung zu schöpfen. Untermalt mit Musik von Diogo Teixeira Ribeiro wird Hoffnung zur Mission: Schirmer und Zollinger geben sich dabei gegenseitig Halt, geben Gewicht ab, strecken sich bis sie was zu greifen bekommen bis alle Kartoffeln ihnen wieder zu Füßen liegen. Doch was nun?

Fast unbemerkt, andererseits auch aufgrund der Ästhetik eines Schulexperiments bewusst ausgeblendet, rückt ein Kartoffel-Netzwerk in den Fokus. Mehrere Kartoffeln sind mit Kabeln und Metall verbunden, erzeugen Strom. Bühnenlicht aus und plötzlich, zwar nur ganz schwach, spenden die LED´s Licht. Und was schenkt nicht mehr Hoffnung als ein Licht in der Dunkelheit? Zu Beginn noch gelacht, bemerkt das Publikum den Wert der Kartoffel. Immerhin enthält das Lebensmittel Stärke. Wie viel Stärke enthält ein Mensch? Während durch Verreiben der Kartoffel Stärke für zum Kochen oder als Klebemittel gewonnen werden kann, würde sich der Mensch wohl einfach nur auflösen.

Zwischendurch synchrone Bewegungen zwischen Schirmer und Zollinger, dabei halten sie jeweils eine Kartoffel in der Hand. Eine schwungvolle Sequenz ohne Aussage wird zur Bewerbung die rhythmische Kartoffelgymnastik als olympische Disziplin einzuführen. Danach muss wieder gehalten werden. Dabei übergeben sie sich die Kartoffeln wie ein Baby sanft in die Armbeuge, tragen sich gegenseitig ein paar Meter, verlieren dabei die Kartoffeln, aber nicht die Geduld. Wie soll man die Hoffnung halten, wenn es sich bei ein paar Kartoffeln schon als Schwierigkeit herausstellt?

Eine Person im Publikum streckt sich vor Müdigkeit. Man will ihr zuschreien: Nein, das geht nicht, wenn man alle Arme voll mit Halten zu tun hat. Es zeigt sich: Nicht zu lange an einer Hoffnung festhalten, sondern eher einmal was daraus machen.