Der Titel des Stücks „C8H11NO2“ bezeichnet die Molekularstruktur von Dopamin, einem Neurotransmitter des zentralen Nervensystems, der unter anderem auch Motivation verursacht. Allgemein betrachtet bezeichnet die Molekularstruktur die Anordnung der Atome in einem Molekül: Übertragen auf das Stück von Alexandra Hanisch könnte die gesamte Choreografie als Anordnung gelesen werden, in der den angeordneten Atomen – wie dem tanzenden Körper – erstmals feste Plätze unter Lichtkegeln zugewiesen werden, die sich dann allmählich auflösen, um ähnlich wie bei frei diffundierenden Atomen herumirren, bis sie wieder feste Bindungen eingehen. So schwirrt auch dieser sich stetig und ständig bewegte Körper frei über die gesamte Bühnenfläche umher. So wie Atome immer in Bewegung sind, rennt Alexandra Hanisch mit einem rasanten Tempo in einer enganliegenden schwarzen, kurzen Hose und mit einem schwarzen Unterhemd bekleidet auf die Bühne. Sie umkreist diese in einem kometenhaften Tempo, zieht währenddessen eilig eine rotfarbene kurze Hose und eine gelbe Bluse an, um dann flugs von einem aufblitzenden Lichtkegel zum anderen zu rennen, um dort mikroskopisch genau einzelne Teile ihres Körpers in Bewegung zu zeigen. So erscheint unter einem Lichtkegel stehend ihr Gesicht, das mit den Händen abgetastet, geknetet und verzerrt wird. Von dort aus rennt sie zum nächsten Kreisrund aus Licht, um ihre Beinbewegungen freizulegen. Es folgt das Liegen im Kreise des Lichtes. Man sieht wie der Bauch sich hebt und senkt. Der im hinteren Teil der Bühnenfläche aufleuchtende Kegel aus Licht legt den Rücken frei und zeigt, wie die Hände diesen abtasten oder umarmen. Die immer wieder stumm aufploppenden Lichtkegel und die darin immer wiederkehrenden Bewegungen gleichen einer Anordnung, die mikroskopisch genau minimalste Bewegungen erforscht und die unaufhörlich im gleichen Tempo unendlich lange anhalten könnte. Doch ähnlich wie in einem Teilchenbeschleuniger gerät die Anordnung, die allerkleinste Strukturen zu erforschen scheint, in eine scheinbar regellose Unordnung. Diese ist gekennzeichnet durch einen sich nach hinten beugenden Oberkörper, der immer wieder fällt. Das Nach-Hinten-Fallen wird von Aussagen des Nicht-Mehr-Könnens, die aus dem Off zu hören sind, begleitet. Die Gesprächsfetzen paaren sich mit den Bewegungsschnipseln. Sprachliche Assoziationsketten von Verzweiflung und Einsamkeit verbinden sich mit dem nach hinten, gebeugten Oberkörper als mögliche Formen von Störungen des Befindens.
Die als ethnobiografische Arbeit lesbare Choreografie erforscht, beschreibt und zeigt das Verhalten aus einer zugleich beobachtenden als auch teilnehmenden Perspektive: So stoßen soziale Dimensionen des Sich-Bewegens auf psychologisch motivierte Dimensionen, die sich in einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper auszudrücken vermögen. Auch wenn im naturwissenschaftlich geprägten Titel „C8H11NO2“ scheinbar objektive Wissensbestände die Anordnung der Choreografie prägen, zeigt sich, dass vernachlässigte – seelisch geprägte – Körperansichten andere Bedeutungen produzieren. Nämlich solche, die sich den scheinbaren Objektivitäten entziehen und Subjektivitäten in tänzerischen Situationen kreieren.