Als Anfang der 2000er die Sängerin Madonna zum Yoga fand, wurden spirituelle Praxen zum beliebten Freizeitsport der bürgerlichen Gesellschaft erklärt. Seitdem hat sich der Trend als Lebenseinstellung etabliert und sich selbst in Trainingspläne von harten Kerlen eingeschmuggelt. In „Keine Panik! Episode 1“ von Daniela Binder und Marlene Schomberg werden ritualisierte Achtsamkeitsübungen zum Kampfsport gegen aufkommende Ängste stilisiert.
Zu Beginn langanhaltende Dunkelheit, welche Panik auslösen könnte. Doch unbestimmbare Geräusche kreieren einen steten und dadurch beruhigenden Rhythmus. Licht schleicht sich in die gemütliche Atmosphäre, da befindet sich Daniela Binder schon längst im getakteten Ablauf einer Bewegungsroutine. Die Geräusche offenbaren sich: Leicht schwingen ihre Arme um den Körper, doch sobald die Handrücken auf die nackten Flanken aufschlagen, wirkt es wie eine Selbstgeißelung. Kein fremder Aspekt in Bezug auf Körperkult. Die Kombination aus schwarzer Sportpants und Top inszenieren sich selbst schon als Kritik an unverschämte Marketingstrategien von Sportmarken, die mit bequemer und gleichzeitig trotzdem noch sexy Kleidung einladen sollen, den inneren Schweinehund zu überwinden. In diesem Tanzstück wird dieses Outfit zu einem Kampfanzug, der einerseits genug nackte Haut freilegt, um sich selbst wieder spüren zu können und andererseits der funktionale Charakter den Körper permanent daran erinnert zur möglichen Verteidigung bereit zu sein.
Zurecht: Eine Stimme dringt ins Unterbewusstsein, lädt ein die Augen bei der geführten Mediation mit Klangschale zu schließen, verlangt ihrer Stimme zu folgen, weil wir unsere eigene wohl sowieso nicht mehr hören. Ein perfider Moment: Währenddessen schleicht sich Marlene Schomberg auf nackten Füßen kaum hörbar herein. Breitet sich aus, bis die personifizierte Angst sich das Zentrum des Raums zu eigen macht. Schmunzeln anstatt Panik bricht aus, denn grünes Licht soll unterstreichen: Achtung, die Antagonistin ist eingetroffen. Auch die zusätzlich verzerrte Stimme stellt nicht die gewünschte Bedrohlichkeit her, die mit dem dramatischen Auftritt versucht wird.
Die Angst trägt eine Oversized-Anzugsjacke. In Kombination mit großen Gesten, welche die Kraft besitzen Binders Routine zu unterbrechen, wirken die Bewegungen wie eine Karikatur von Männern in autoritären Machtpositionen. Das übergroße Kleidungsstück entwickelt sich zum Mantel der Angst und umhüllt plötzlich den Körper von Binder. Dazwischen ein Black, das verrät, wie sich die Inszenierung feige vor dem wohl spannendsten Prozess des Abends drückt: die sich anbahnende Annäherung der Angst bis hin zur gewaltvollen Übernahme der Gedanken und des kompletten Organismus. Während Binder wie vor Schock gelähmt am Boden liegt, zelebriert Schomberg zur klassischen Musik triumphierend leichtfüßig die sich angeeignete Bewegungsroutine und verleiht ihr eine frische Beschwingtheit.
Am Ende wieder einmal Dunkelheit, wieder einmal besteht keine Gefahr, dass die Angst ins Publikum überzugehen droht. Ein angstfreier Abend über Angst als Aussicht in Zukunft 24/7 Achtsamkeitskurse als letzte mögliche Chance zu besuchen, um nicht doch heimtückisch von der Angst selbst auf der Yogamatte heimgesucht zu werden.